141km nichts außer Bären
Die Zelttür ist so gefroren,
dass ich sie aufklappen kann, als ich um 4:00h vor die Tür gehe. Eine zu ende
gehende sternenklare Nacht, es dämmert bereits, noch immer sind die
Positionslichter der großen Ketten am Highway voll erleuchtet. Ohne Probleme
erkenne ich das Logo von McDonalds und Tim Horton’s grelle Leuchtreklamen. Im
Gegensatz zum Nationalpark wird hier wieder 24h rund um die Uhr gearbeitet. Und
während im Nationalpark Werbetafeln und grelle Werbebanner strikt verboten
sind, gibt es hier keine Hemmungen.
Um 08:30h bin ich bei Tim.
Die Warteschlange ist ellenlang, das ergibt Möglichkeiten mit seinem Hintermann
ins Gespräch zu kommen. Heute Richtung Grand Cache, ach was willste denn da, bis dahin sind es 141km und es gibt nichts
außer Bären.
Man muß sich das als Norddeutscher mal auf der Zunge zergehen lassen, 143km Nichts, auf einer Strecke von Lübeck nach Westen, weiter über Harburg hinaus nichts, gar nichts, richtiges Nichts.
Highway 40, ist ein Highway,
der entlang der auslaufenden Rocky Mountains verläuft. Er beginnt im Süden am
CrownestHighway und führt von dort nach Norden nach Canmore. Bis zum 15.Juni
jeden Jahres ist er gesperrt. Foothills
nennen sie das hier. 340km von Hinton nach Grande Pairie, dazwischen nur eine
Ortschaft sonst nichts, eben, außer Bären. Gleich zu Beginn warnt ein Schild,
achten sie auf ihren Benzinstand. Nächste Tankstelle in 143km.
Ich erinnere mich noch gut
an Ontario, an den Lake Superior PP. 83km nichts, gar nichts,
diesmal will ich besser vorbereitet
sein und führe Essen und Getränke mit.
In der Psychologie nennt man
das glaube ich angstbesetzte Worte.
Scenic Road, ich erwarte nichts Gutes von dem heutigen Tag, rauf und runter, weiß
aber auch das die einzige Alternative über Whitecourt gut 150km Umweg bedeutet.
Highway 40, diese Strasse führt nach Alaska.
Ich verlasse Hinton gegen
09:30h, zunächst sind die ersten Kilometer flach, nach der Brücke über den
Athabasca River steigt die Strecke dann allerdings mörderisch an. Gute 400
Höhenmeter steigt die Strecke innerhalb der nächsten 8km, der Scheitelpunkt ist
ziemlich genau beim Beginn des William A. Schwitzer Provincial Park.
Die Oberfläche der Strasse
ist grottenschlecht, von Frostaufbrüchen des letzten Winters heimgesucht, die
sich zu Kratern entwickeltet. Der Seitenstreifen ist auf maximal 2 Fuß breit,
meistens jedoch nicht mal 30cm zusammengeschrumpft. Seit dem ich on-the-road
hatte ich nicht eine so schlechte Strasse. Nur sehr vereinzelt gibt es für
wenige Kilometer eine Neuanlage.
Ich habe es geahnt, bei
beschleunigten Abfahrten muss man höllisch aufpassen, um nicht in die
Schlaglöcher zu geraten, die urplötzlich, schlecht sichtbar auftauschen, die
Strasse ist eng und keinesfalls vom Schwerlastverkehr befreit. Und es geht
munter rauf in einer 1:1 Übersetzung, um danach zügig wieder herunter zu rasen.
Scenic road. Ich bezweifele, ob es eine gute Idee war, hier heute aufzukreuzen.
Sollte ich wieder die Chance haben auf dem Transcanada zu fahren, küsse ich
notfalls jeden einzelnen Meter.
Drei Dinge haben den Tag
geprägt, zwischen Kilometer 54-58.
Bei Km 54 geriet ich
unversehens in einen Hagelschauer, verzweifelt versuchte ich zu begreifen,
welche Wolke dafür verantwortlich war und gleichzeitig die offenen Sachen auf
dem Hinterradträger zu sichern. 5min später war der Schauer vorbei, 3km weiter
war die Strasse nicht mal feucht.
Danach sprang die Kette ab,
was im Grunde nicht besonders ärgerlich ist, aber in Folge des Mangels an
Anlehnmöglichkeiten, musste ich den Trecker eine ziemlich lange Strecke
schieben, bis wieder ein Kurvenwarnschild auftauchte. Die
Verkehrsschilderdichte ist in Kanada wirklich gering. Das gilt auch für
Entfernungsangaben. 143km ohne menschliche Spuren, keine Siedlungen nur ab und
zu der Hinweis auf einen Zeltplatz. Bei dem Maßstab meiner Karte bleibt vieles
am Tag im Ungefähren.
Das wichtigste passierte
jedoch bei Km 58. Es war wie so oft. Irgendein Vollidiot hatte es zu eilig und
versuchte auf gerader Strecke 4 Autos zu überholen. Jemand, dem die
Geschwindigkeit der anderen Verrkehrsteilnehmer möglicherweise 4km/h zu langsam
war.
Nun könnte man annehmen, das
wenn jemand bei solch einem Ansinnen Gegenverkehr wahrnimmt, er den
Überholvorgang beendet, abbricht, oder zumindest seinen Wagen jenseits der
erlaubten 100km/h beschleunigt. Leider passierte nichts von alledem. Das Auto
schoss auf mich zu, der Highway ist nicht sehr breit und seelenruhig ohne jede
Regung versucht der Fahrer auch das letzte Auto zu überholen. 100km/h,
schneller zu fahren wäre ja ein Verkehrsregelverstoß.
Ich hasse solche Momente,
abbremsen, an den Rand stellen und hoffen, das es passt.
Angebrüllt hab ich das A…,
und das böse internationale Mutterwort geschrien, den besonderen Finger der
linken Hand gezeigt, geändert hat es nichts, danach war wieder stille. Ich
brauchte ne Pause. Die another day.
Ich brauchte einige Minuten,
um die Situation sacken zu lassen, danach war alles wie vorher.
Die Schönredner unter den
Lesern werden jetzt sicher die Sache wieder relativieren und sagen, der hat
geträumt, die Sache unterschätzt, ‚nen schlechten Tag gehabt; wie auch immer,
lustig ist so was nicht und ein Risiko allemal. Und eigentlich gibt’s da wenig
zu beschönigen.
Ist wieder nichts passiert,
im Baltikum passiert so was an schlechten Tagen mehrmals am Tag. Und wirklich,
nach 5000km ist es erst die dritte ernsthafte Situation; in Kanada zu fahren
ist extrem sicher. Ganz im Gegenteil, kaum steht man als Fahradfahrer irgendwo
an der Leitplanke hält bestimmt alsbald jemand an und fragt, do you need help?
‚are you ok?
Aber es zeigt auch wieder,
ist nicht alles gold was glänzt, solche Auswüchse erden, erhöhen wieder mehr
die Aufmerksamkeit. Und das ist gut so.
Gegen 17:00h kam Sturm auf,
der Himmel verfinstert sich merklich und der angepeilte Campingplatz Big
Berland River kommt einfach nicht in Sicht, so sehr ich auch Km um Km gegen den Wind
ankämpte. Theoretisch müsste ich nicht mal 2km vor dem Campingplatz liegen,
aber es wird mühsam jede weitere Kurve anzufahren, um endlich den erhofften Platz entdecken zu können.
Der Tag hat viel Kraft gekostet und so breche bei knapp 90km ab und finde riesige Lichtung, auf dem Highway ist Wildwechsel angekündigt.
Vielleicht wird das heute ja doch noch was mit Tierbeobachtung.
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