tramps like us, baby we were born to run...[Bruuuuce1975]

Anmerkung: Wir stellen das Blog jetzt wieder online, um noch ausstehende Korrekturarbeiten abzuschließen.
Ausserdem sollen später Inhalte dieses Blogs in das neue Projekt übernommen werden.

[Arbeitstitel] ukrainisch/russiche Notizen 2016 unter blogger


Donnerstag, 24. April 2014

Im Bonebreaker Land

Im Schritttempo
Keine weitere Niederlage an diesem Tag. Hol' Dir Dein eingeschüchtertes Selbstvertrauen auf der Strasse zurück. In den Fußballligen unseres Landes fordert der Trainer nach zwei bitteren Niederlagen einen Sieg. Über den Kampf zum Spiel, oder so.

Genau das muß heute passieren. Der norwegische Wetterdienst ließ die aktualisierte Version für Terrace Bay in der Nacht nicht gutaussehen, sollte aber an diesem Tag das erste Mal daneben liegen.

In der Nacht hat die Heizung mit satten 22° Zelt, Plane, Isomatte und das ganze Tüdelüt angenehm getrocknet. Zum ersten Mal seit Tagen schlüpfe ich wieder in nach Shampoo duftende Kleidung. Alles trocken. Die Sonne lacht seit 06:15, Temperatur 2°, kein Wind, blauer Himmel. Ein Siegertag kündigt sich an.

Heute muß es gut laufen, kein heulen und fluchen und das, obwohl Bruce in der Nacht von dreadful Hills geschrieben hat. Ich trau mich nicht die Übersetzung zu suchen, klingt eher nach verk... Berge.
Egal. Mutig sein, losfahren, kein Blick zurück. Das hat später Folgen. Nach einer Stunde werde ich feststellen, das das Essen wieder einmal im Kühlschrank vergessen worden ist. Schusseligkeit. Ich könnte in den Lenker beißen, zum wiederholten Male. Ade italienische Mortadella, und sündhaftteurer Cheddar.
Domenic, Sohn der Stadt

Zunächst 24km nach Schreiber. Gegründet 1901, 1000Einwohner, staubiges Nest am Hwy 17. Hier boxt Domenic. Der erste Fauxpas. Ich frage einfach beim Esso nach Anti Bearspray; nun muß man wissen, canadisches Englisch ist sehr hart, gluteral, und  jeder erkennt sofort den Nichtkanadier in mir. Auf jeden Fall klingt mein genuscheltes do you have anti bear spray? bei der Verkäuferin so komisch, das sie mich verwirrt anguckt und ich bemerke, sage nicht antibeer sondern antibear, mit viel ääää. Wer will schon Gegenbierspray?

Sollte ich heute Nacht draußen bleiben, will ich es jetzt dabei haben. In der Kälte, tief eingemummelt in die 2,20m lange Tüte, komme ich einfach nicht schnell genug heraus, geschweige denn aus dem Zelt, bevor der Bär zu nahe ist. Dann bleibt nur noch Vorneverteidigung. Ich hoffe, das es nicht soweit kommen wird. Der Zeitpunkt rückt aber näher.

Schreiber Anti beerspray
Nach Schreiber kommt das, worauf Bruce hinwies. Der erste bonebreaker mountain des Tages. Die Uhr bleibt bei 321m Meerhöhe stehen. Alter, das kann noch nicht deren ernst sein, das ist einfach nicht möglich zu fahren, aber ich bleibe auf dem Rad und schaffe es in weniger als 17min in der Wintersonne mit 6,7-7,2km/h. Beruhigend ist, das auch die Trucks alle Gänge benutzen müssen und ich hinter mir die Motoren aufheulen höre. Ein Land für Autos. Yeah, ein Knochenbrecherberg ist besiegt. Oben angekommen ist das Trinken alle.
Im Bonebreaker Land

So ist der Plan, leicht machen, auf Angriff fahren und erst in Rossport bunkern. Es wird heute warm werden. Die Sonne ist auf Wiedergutmachung aus. Dann eine Flachetappe und ich erkundige mich an der folgenden Tankstelle nochmals, hat Rossport auf? Gibt's dort was zu Essen?
Keine beweisfeste Aussage.

Vor Rossport der zweite Berg der Ehrenkategorie am heutigen Tag. Hier gibt's nichts zu gewinnen, ich muß ich aus dem Sattel, keine chance. Es ist so aberwitzig steil, solche Steigungen kann ein Touri nicht fahren. Das soll mir mal einer zeigen. Ich bin zum Fahrradschieber in der Mittagssonne geworden.

Rossport Camping
Rossport, direkt am See, hatte mir Bruce empfohlen, man kann in den Provincial Parks außerhalb der Saison umsonst campen, kostet nichts, gibt aber auch keinen Service. Meine Uhr zeigt erst 39km, zu früh für einen Tagesabschluß. Rossport selbst schläft. Es gibt nichts, damit wird klar, für die nächsten 65km bis Nipigon oder die Nacht im Freien muß was zu Trinken her.

Pays Plat First Nation
Ontario ist so derartig fahrradfreundlich, was seine Strassen und Verkehrsteilnehmer angeht, aber außerhalb der Saison, sind diese 1000Einwohner zählenden Weiler alle nahezu unbewohnt. Das ist mehr als lästig, ich werde über ein viel genaueres Proviantregime nachdenken müssen. Es gibt nur an bestimmten Orten etwas, überfährt man die, wird die Versorgungslage eng.

Bruce empfielt das Wasser aus dem Lake Superior zu trinken, allerdings müsste ich mir so  'ne Eisscheibe dann auf den Lenker legen.

Al, der nette Tankwart
Nach Rossport ein erneuter, nicht zu schaffenden Berg, wieder absteigen und ich rolle den Abhang direkt in eine offene Tankstelle im Reservat Pays Plat First Nations.

Ich kann mein Glück kaum fassen. Die Weißen schlafen und bei First Nations gibt's alles in Hülle und Fülle. Der Burner sind Nachttischlampen in Form eines Tipis 45cm hoch. Einmal Indianer, immer Indianer.

Der $1 Kaffee ist ein Feiertag nach dieser Anstrengung und da der fröhliche Tankwart Al hier Zeit hat, hole ich gleich noch einen. Al sagt es leben 80 Objibway hier im Reservat, das eine mehr staubige Durchgangsstrasse mit sehr einfachen Holzhäusern darstellt.
Gas, Kaffee und Chips

Ich wäre gerne geblieben, aber die Zeit ist fortgeschritten durch die Schieberei. Und dann kommt der absolute Höhepunkt, Col de Telegraph in Nord Ontario, zuerst nehme ich ihn gar nicht wahr, weil die Strecke kurvenreich nach oben führt. Aber der bonebreaker wird länger und länger und länger. Ich muß die Seite zum schieben wechseln, die Trucks benötigen jetzt im Schritttempo meinen geliebten Randstreifen. Im Schritttempo kriechen die 500PS starken Zugmaschinen den Berg hoch, da ist immer wieder Zeit den schiebenden Biker zu grüßen. Ich brauche 7 Pausen, um Atmung und Pulsschlag wieder unter Kontrolle zu bringen.
Den Gipfel nach 25min erreicht

Mehr als 25min schiebe ich mein Rad aufwärts, dann läßt der Rückwärtsdrang nach. Was ist die Steigerung von pornös?  Ich schiebe hier 60kg Material durch eine atemberaubende Kulisse auf 382m. Eine Panorama Kulisse. Menschenleer. Soweit das Auge reicht, unberührte Wildnis und das Eismeer des Lake Superior. Wie soll die einfache Kamera diese Bilder einfangen. Ich bin einfach sprachlos, atemlos, es rührt mich an diesem sonnigen Tag, diese Weite zu spüren. Einfach stehen bleiben und schauen. Mir gehen die Superlative aus. Einfach oberpornös.

Blick über die Bucht