Im Schritttempo |
Genau das muß heute passieren. Der norwegische Wetterdienst ließ die aktualisierte Version für Terrace Bay in der Nacht nicht gutaussehen, sollte aber an diesem Tag das erste Mal daneben liegen.
In der Nacht hat die Heizung mit satten 22° Zelt, Plane, Isomatte und das ganze Tüdelüt angenehm getrocknet. Zum ersten Mal seit Tagen schlüpfe ich wieder in nach Shampoo duftende Kleidung. Alles trocken. Die Sonne lacht seit 06:15, Temperatur 2°, kein Wind, blauer Himmel. Ein Siegertag kündigt sich an.
Heute muß es gut laufen, kein heulen und fluchen und das, obwohl Bruce in der Nacht von dreadful Hills geschrieben hat. Ich trau mich nicht die Übersetzung zu suchen, klingt eher nach verk... Berge.
Egal. Mutig sein, losfahren, kein Blick zurück. Das hat später Folgen. Nach einer Stunde werde ich feststellen, das das Essen wieder einmal im Kühlschrank vergessen worden ist. Schusseligkeit. Ich könnte in den Lenker beißen, zum wiederholten Male. Ade italienische Mortadella, und sündhaftteurer Cheddar.
Domenic, Sohn der Stadt |
Zunächst 24km nach Schreiber. Gegründet 1901, 1000Einwohner, staubiges Nest am Hwy 17. Hier boxt Domenic. Der erste Fauxpas. Ich frage einfach beim Esso nach Anti Bearspray; nun muß man wissen, canadisches Englisch ist sehr hart, gluteral, und jeder erkennt sofort den Nichtkanadier in mir. Auf jeden Fall klingt mein genuscheltes do you have anti bear spray? bei der Verkäuferin so komisch, das sie mich verwirrt anguckt und ich bemerke, sage nicht antibeer sondern antibear, mit viel ääää. Wer will schon Gegenbierspray?
Sollte ich heute Nacht draußen bleiben, will ich es jetzt dabei haben. In der Kälte, tief eingemummelt in die 2,20m lange Tüte, komme ich einfach nicht schnell genug heraus, geschweige denn aus dem Zelt, bevor der Bär zu nahe ist. Dann bleibt nur noch Vorneverteidigung. Ich hoffe, das es nicht soweit kommen wird. Der Zeitpunkt rückt aber näher.
Schreiber Anti beerspray |
Im Bonebreaker Land |
So ist der Plan, leicht machen, auf Angriff fahren und erst in Rossport bunkern. Es wird heute warm werden. Die Sonne ist auf Wiedergutmachung aus. Dann eine Flachetappe und ich erkundige mich an der folgenden Tankstelle nochmals, hat Rossport auf? Gibt's dort was zu Essen?
Keine beweisfeste Aussage.
Vor Rossport der zweite Berg der Ehrenkategorie am heutigen Tag. Hier gibt's nichts zu gewinnen, ich muß ich aus dem Sattel, keine chance. Es ist so aberwitzig steil, solche Steigungen kann ein Touri nicht fahren. Das soll mir mal einer zeigen. Ich bin zum Fahrradschieber in der Mittagssonne geworden.
Rossport Camping |
Pays Plat First Nation |
Bruce empfielt das Wasser aus dem Lake Superior zu trinken, allerdings müsste ich mir so 'ne Eisscheibe dann auf den Lenker legen.
Al, der nette Tankwart |
Ich kann mein Glück kaum fassen. Die Weißen schlafen und bei First Nations gibt's alles in Hülle und Fülle. Der Burner sind Nachttischlampen in Form eines Tipis 45cm hoch. Einmal Indianer, immer Indianer.
Der $1 Kaffee ist ein Feiertag nach dieser Anstrengung und da der fröhliche Tankwart Al hier Zeit hat, hole ich gleich noch einen. Al sagt es leben 80 Objibway hier im Reservat, das eine mehr staubige Durchgangsstrasse mit sehr einfachen Holzhäusern darstellt.
Gas, Kaffee und Chips |
Ich wäre gerne geblieben, aber die Zeit ist fortgeschritten durch die Schieberei. Und dann kommt der absolute Höhepunkt, Col de Telegraph in Nord Ontario, zuerst nehme ich ihn gar nicht wahr, weil die Strecke kurvenreich nach oben führt. Aber der bonebreaker wird länger und länger und länger. Ich muß die Seite zum schieben wechseln, die Trucks benötigen jetzt im Schritttempo meinen geliebten Randstreifen. Im Schritttempo kriechen die 500PS starken Zugmaschinen den Berg hoch, da ist immer wieder Zeit den schiebenden Biker zu grüßen. Ich brauche 7 Pausen, um Atmung und Pulsschlag wieder unter Kontrolle zu bringen.
Den Gipfel nach 25min erreicht |
Mehr als 25min schiebe ich mein Rad aufwärts, dann läßt der Rückwärtsdrang nach. Was ist die Steigerung von pornös? Ich schiebe hier 60kg Material durch eine atemberaubende Kulisse auf 382m. Eine Panorama Kulisse. Menschenleer. Soweit das Auge reicht, unberührte Wildnis und das Eismeer des Lake Superior. Wie soll die einfache Kamera diese Bilder einfangen. Ich bin einfach sprachlos, atemlos, es rührt mich an diesem sonnigen Tag, diese Weite zu spüren. Einfach stehen bleiben und schauen. Mir gehen die Superlative aus. Einfach oberpornös.
Blick über die Bucht |
Die nachfolgende Abfahrt gleicht durch die naßgeschwitzte Kleidung einem Eisbad. 64km/h, minutenlang. Ich bin euphorisiert. Danach bleibt die Strecke flach. Geschafft!
Jetzt nur noch ein Zelt in der Wildnis, den Elch beobachten und zwei eisgekühlte Bier.
90° gedreht |
So komme ich dem Regionalzentrum Nipigon immer näher und die Zeit verrinnt. Ums verrecken gibt es an diesem Tag wieder keine Möglichkeit ein Zelt zu stellen und schweren Herzens verabschiede ich mich von dem Gedanken bis 17:00h die Sache in trockenen Tüchern zu haben. Zum Schluß wird es wieder ein Beißen, die Schieberei hat zu viel Kraft an diesem Tag gekostet.
Bambi ist echt |
Nipigon nimmt ebenfalls Teil am Hwy-Ausbau-Programm. Sie spannen bis 2017 eine riesige neue Brücke über den Nipigon River. Außerdem wird der Hwy auf 4 Spuren verbreitert. Fassungslos muß man nach dem Warum fragen.
Das erforderdert reichlich Menpower und so ist das Pinecrest Motel voll. Zum ersten Mal entdecke ich das Schild no Vacancy. Ein Teil der Bauarbeiter erkennt mich wieder, sind wohl neu dabei. Ey man, wir haben Dich gestern und heute auf dem Rad gesehen. Au backe, hoffentlich war ich nicht peinlich.
no one beats Vacationland Nipigon |
Hilft nichts ich muß weiter, keine Zeit für Smalltalk, aber auch im zweiten Motel werde ich von Feierabend Biertrinkern wiedererkannt. Das dritte Motel ist das Vacationland. No one beats Vacationland.
Was von außen nicht gut aussieht, ist auch von innen nicht gut; hat was der Satz. Das Ding ist in die Jahre gekommen, ich bin schon besser untergekommen, aber Wanda macht einen fidelen Eindruck und nach 115km spielt der Rest keine Rolle mehr.
Ich bekomme 2 Queens, indoor fridge, indoor parking, Coffee und wifi für $65+Tax, ohne Fenster nach außen, der Kampfpreis im Ort. Hej, wofür willst Du Fenster, nimm doch die Klimaanlage.
Nach 10min läuft der Heater Richtung 22° und die nassen Sachen sind zum trocknen verteilt. Zu spät für ein Gespäch nach Deutschland. Ellinor schläft bereits. Einfach zu lange unterwegs.
No one beats Vacationland und Frank an diesem Tag. Ein oberpornöser Tag.
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