tramps like us, baby we were born to run...[Bruuuuce1975]

Anmerkung: Wir stellen das Blog jetzt wieder online, um noch ausstehende Korrekturarbeiten abzuschließen.
Ausserdem sollen später Inhalte dieses Blogs in das neue Projekt übernommen werden.

[Arbeitstitel] ukrainisch/russiche Notizen 2016 unter blogger


Donnerstag, 6. März 2014

Wilhelmshaven - Besuch in der Vergangenheit...

Wilhelmshaven Südstadt Ende 50er Jahre Quelle: http://www.suedzentrale.de/die_suedzentrale/geschichte/index.html
Rundbunker Rheinstrasse Blick von Osten
Zurück in Wihelmshaven, ich war lange nicht hier. Im Jahre 1967 kam ich in diese Stadt. Die Wohnung meiner Eltern lag bald in der Rheinstrasse, nahe der ehemaligen Kaserne der III. Torpedoboot 
Division (li Bildrand unten), in der Südstadt, der 
Keimzelle der 1869 entstandenen Stadt.
Der Krieg war gerade 22 Jahre vorbei und in unserem Quartier standen noch viele Bunker und Ruinen. Genau wie der halbgesprengte Bunker unweit der elterlichen Wohnung. Er steht dort noch heute, 40 Jahre später, nahezu unverändert auf der Rasenfläche, die einst zum inoffiziellen Abenteuerspielplatz und Fußballfeld der Strassenmannschaft gehörte.
Ehamalige Torpedokaserne

nach wie vor größte Drehbrücke Europas
In diesem Kiez bin ich aufgewachsen, begrenzt vom MarineArsenal, den ungesicherten Kais des Bontekai und der Südzentrale mit der benachbarten Kaiser Wilhelm Brücke aus dem Jahre 1907, der immer noch größten Drehbrücke Europas. Vor zwei Jahren generalüberholt, glänzt sie nun wieder, allein ihre Technik muckt immer wieder, dann bleibt sie für den Verkehr gesperrt.
1984 bin ich fortgezogen, seitdem nur immer mal wieder sporadisch zurück gekommen, seit langer Zeit gar nicht mehr.
Ich verfolge den Niedergang meines Kiezes im web, aus sicherer Entfernung, das Schließen der Schulen und Geschäfte, aber es blieb das untergründige Verlangen nach vielen Jahren selbst zu schauen. Also machten wir uns auf den Weg.               Vier Tage Wilhelmshaven im Jan. 2014, eine Annäherung...

Mein Gott, wie haste Dir verändert; die Grundschule in der Allerstrasse ist längst geschlossen, die Schule des Abschlußjahrganges 1980 heute eine zusammengelegte Grundschule. Die gegenüberliegende Hauptschule schon länger entwidmet. So viele Schulen braucht man heute nicht mehr. Gelernt habe ich die Zahl von 100.000 Einwohnern, heute rechnen sie hier nur noch mit gut 76.000 Bewohnern.

ehemalige Grundschule Allerstrasse
ehemalige Realschule


Wilhelmshaven Südstadt.                         Hier bin ich aufgewachsen. Heute sind In unserem Viertel die Läden und die damit verbundene frühere Lebendigkeit verschwunden. Eine Bäckerei, Lebensmittel-
geschäfte, Kneipen und Kioske, wo das Taschengeld umgesetzt wurde. Geschlossen und verschwunden seit längerem. Das Edeka- Lädchen nun eine Kampfsport Schule. Heutzutage haben Läden dieser Raumgröße keine Chance mehr. Dort, wo es früher die Scheibe Wurst über die Theke gab, herrscht heute Stille.

Überhaupt Stille; ich habe die Strassen viel befahrener in Erinnerung, heute wirkt alles seltsam verkehrsberuhigt. Momentaufnahmen.
Zurück an den Großen Hafen, der Blick fällt auf neue moderne Bauten, uniforme Baukästen, viel Glas, viel Blick aufs Meer, da wo einst Kieshalden, Ruinen und graue Ölbunker und ungesicherte Hafenanlagen waren. So sieht Schöner Wohnen Wilhelmshaven 2014 also aus. Moderne geklinkerte Appartmentblocks mit Blick auf's Wasser.

Der Blick schweift  über den Deich in Richtung KW-Brücke und dem dahinter liegendem ehemaligen Kraftwerk der kaiserlichen Werft, erbaut 1907. 1918 nahmen sie in den Revolutionswirren die Lettern am Hochgiebel des Maschinenhauses ab. Die Inschrift blieb auch danach sichtbar. Seitdem der letzte Mieter 1994 auszog, verfällt das Gebäude.Bunker Wilhelmshaven /Südzentrale
Maschinenhaus Kraftwerk Südzentrale
kaiserliche Lettern
Mehrere Nachfolger versuchten sich fortan den Verfall zumindest aufzuhalten. Vergebens. Inzwischen ist der Vorplatz mit dem rückseitig angeschlossenem Manteuffelplatz Umschlagsplatz für Stückfrachten und dem Hafen zugeschlagen worden.

Manteuffelplatz, der ehemalige Exerzierplatz  war der Veranstaltungsplatz im Süden der Stadt. Zirkus Barum ließ seine Elefanten werbewirksam die Ebertstrasse vom Bahnhof  aufmarschieren. Alljährlich wurde die Kirmes abgehalten. Der Abenteuerspielplatz der Kindheit ist heute mit hohen Zäunen gesichert. Ein Wall schirmt den Platz zur Stadt ab. Trotz aller Versuche das Gebäudeensemble mit Leben zu füllen und neuem Atem einzuhauchen, hält der unvermindert Verfall an.
Inzwischen ist das Gebäude stark im Internet präsent. Eine ca. 350 Mitglieder starke BI hat sich gegründet und versucht den Verfall aufzuhalten. Aufgrund der Größe des Geländes und der Kosten eine Mammutaufgabe.               Die Südzentrale
https://plus.google.com/photos/+KlausPersch/albums/ Südzentrale noch in Betrieb

Inzwischen existiert ein wunderschöner Film als Trailer Trailer Südzentrale Youtube. Die Südzentrale verkörpert das alte Wilhelmshaven der Kindheit. Das neue Wilhelmshaven versucht sich derweil mit dem Schaffen von neuen Hotels und  Bauflächen für neue Bewohner durch das wegsprengen überflüssig gewordenen Kasernenanlagen am ehemaligen Westhafen, dem "Banter See". Ein klotziges völlig überdimensioniert wirkendendes Hotel prägt heute das Areal neben der ehemaligen "Wiesbadenbrücke" der Bundesmarine am großen Hafen.
alte, "neue" Bunker am Banter See

      Man scheint Großes vor zu haben. 
Genau wie mit der, den Bahnhof ein schließenden, Nordsee-Passage. Ein verklinkerter, festungsartig, klotzig wirkender, mindestens in der Traufenhöhe zwei Etagen zu groß gewordener Einkaufs(alb)traum.
Das alte C&A dagegen, ein 70er Jahre Funktionsbau geschlossen, selbst der Resteseller konnte sich wohl nicht halten.
füheres Kaufhaus Karstadt
Der alte Bahnhof ist verschwunden, dort wo so viele Reisen begannen und endeten und der Vater Tage vorher handschriftlich die Abfahrtszeiten notierte, heute alles ein Parkhaus. Genau wie das Kaufhaus Karstadt. Lange bevor Karstadt über den Verkauf seiner Premienhäuser nachdachte, wurde das Einkaufsparadies meiner Kindheit geschlossen. Eines für alles und damals wirkte es übergroß.
Inzwischen habe ich größere Kaufhäuser in Europa gesehen.
Die grellroten MediaMarkt Fahnen wirken heute so unpassend auf mich - wie Besatzer in diesem altehrwürdigen Gebäude. Resteverwertung
Time goes by.
Die Marktstrasse wirkt heute klein und besticht durch eine enorme Anzahl an Parkplätzen in den Baulücken. Rückbau nennt man das wohl.  Die ehemals zweite Einkaufsmeile der Stadt, die Gökerstrasse, besticht durch einen großzügigen Leerstand, der nur durch vereinzelt noch geöffnete Läden unterbrochen wird. Wie Inseln im Meer des Niedergangs.


Evangelisch-methodistische Kirchengemeide, Schulstrasse 49
Wir besuchen die Evangelisch Methodistische Kirche in der Schulstrasse.
Da, wo ich jahrelang fast jeden Tag und jedes Wochenende vorbei kam, wo immer Leben zu spüren war, immer Tag der offenenTür war, zu jeder Zeit, wohnen heute andere Menschen. Es öffnet niemand. Es wirkt fremd. Wie alles in dieser Stadt, es wirkt geschlossen.


Christusund Garnisonskirche
Das Jochen-Klepper-Haus am Rande des Inselviertels, da wo ich zum Konfirmationsunterricht ging, gehört heute einer anderen Glaubensgemeinschaft. Einzig die Christus- und Garnisons Kirche strahlt noch etwas von ihrem erhabenen Stolz alter Zeit aus.
frühere Post, Ebertstrasse















Die Veränderung hat selbst vor der Post unseres Quartiers nicht halt gemacht. Dort, wo einst für die Familie das Zeitalter der modernen Komnmunikation mit allsonntagabendlichen Wegen zur Telefonzelle und dem Mondscheintarif der deutschen Post und einem bedeutenden Berg an Kleingeld begann, werden heute russisch-orthodoxe Gottesdienste, einer der drei russischen Gemeinden der Stadt abgehalten.
Cekade Luftansichtspostkarten Wilhelmshaven Südstrand 50er Jahre

Bleibt noch der Besuch der alten Schokoladenseite, Wilhelmshaven Südstrand. Zu meiner Kindheit gings im Sommer zum Baden über die KW-Brücke an den Strand.

Auf das richtige Timing kam es an. Nur alle 6h gibt es Wasser mit starkem Tidenhub.
Später sonntäglicher, elterlicher
Pflichtspaziergang rund um die ehemaligen Schleusen eins bis drei der Kriegsmarine Werft und dem Fluthafen an der Nassaubrücke. Noch später Ausbildungsstätte der ersten funkelektronischen Ausbildung am Wasser-und Schiffahrtsamt.
Lagerhäuser am Schleusenbecken der ehemealigen zweiten Einfahrt der Kaiserlichen Werft.
Wilhelmshaven im Januar 2014 wirkt grau, kalt und trist. Eine angezählte Stadt. Ich erkenne die Stadt meiner Kindheit wohl wieder, aber sie hat sich deutlich verändert und ich fremdel' mit ihrer jetzigen modernen Performance.

Unsere Wirtin spricht vom Verfall, von Depression, dem vielen Leerstand und letztlich, dem Verfall der Stadt. Und dass ihre Gäste nur bis zum Mitte des Monats ins Restaurant kommen, danach werde das Budget knapp.

Schwindende Kaufkraft, schwindende Stadt. Sie kämpft, dabei wird vieles Alte, wie die beiden Truppenmanschaftsbunker an der Ostfriesenstrasse als überkommen identifiziert und dem Abriss freigegeben.

Der neue Hafen vor Voslapp im Norden der Stadt, von der Politik als wirtschaftlicher Leuchtturm für die Region so stark gepriesen, konnte bisher seine Strahlkraft anscheinend nicht voll entfalten. Die Politik hat dafür das Naherhohlungsgelände Geniusbank, eine flach ins Fahrwasser laufende Sandbank, fast vollständig geopfert.

Nach 4 Tagen verlassen wir die Stadt wieder; melancholisch gestimmt fällt uns doch der Abschied leicht. Noch einmal kommt Erinnerung auf, als sich der Zug wie früher, im Sander Bahnhof, durch eine stattliche Anzahl Bundeswehrsoldaten, beladen mit ihren schweren Seesäcken, füllt. Wie früher auf dem alten Bahnhof an jedem Freitag um 13:30h....