tramps like us, baby we were born to run...[Bruuuuce1975]

Anmerkung: Wir stellen das Blog jetzt wieder online, um noch ausstehende Korrekturarbeiten abzuschließen.
Ausserdem sollen später Inhalte dieses Blogs in das neue Projekt übernommen werden.

[Arbeitstitel] ukrainisch/russiche Notizen 2016 unter blogger


Sonntag, 16. März 2014

Die große Pause

Tag 4 Die große Pause ist da. 30 Jahre Krankenpflege. Ein Spannungsbogen vom zwangsverpflichtetem Zivieldienstleistenden bis heute.
Rückblick - Winter 1984/85 in Hamburg. Blick aus dem Fenster des Schwesternwohnheimes Bethanien Diakonissenkrankenhaus Martinistrasse 44, Hamburg. Hier liegen die Wurzeln meines jetzigen Berufes. Durchlitten als Zivildienstleistender im Rehakrankenhaus für Herzrkreisklauf- und Hirninsult Patienten des Bethanien Ordens der evang.meth. Kirche.

Winter 1984/85 Krankenhaus Bethanien Hauptportal
Nach der technischen Ausbildung und der drohenden Wehrpflicht war der Zeitpunkt des "Ausbruchs" gekommen, und so begann nach Verweigerungsverfahren die Suche nach einer Zivildienststelle. Auf keinen Fall Heimschläfer werden. Raus aus dem "alten" Wilhelsmshaven.
Die Generationskonflikte in der elterlichen Wohnung hatten längst ihren Höhepunkt erreicht.

Der Zivildienst begann in einem Altenheim in Hamburg mit als „Mädchen für alles“.  Nach 4 Monaten war die Begeisterung für Straßefegen und tropfende Wasserhähne reparieren, befriedigt und es musste dringend etwas Neues her. Der Markt an Unterkunftsstellen war knapp.
Es blieb nur das streng hierarchisch geführte Diakonissenhaus in HH Eppendorf. 
Die Leitung der Pflege war durch Ordensschwestern im fortgeschrittenen Alter abgebildet, der Rest war Fußvolk;  Zivildienstleistende standen in ihrer Sicht auf der untersten Stufe der Pyramide. Deren Aufgaben waren streng umrissen. Waschen, Unterstützung beim Essen, Kaffeerunde, beim Betten helfen. Das Mittagessen wurde aus einem rollbaren Containerm, von der Stationsschwester oder der Chefin des Fußvolks schiebend, aus großen Töpfen auf Teller durch Pflegehelfer und Zivis ausgteilt. Ausgeschlossen, daß etwa Reste aus dem Wagen zu haben wären. Argwöhnisch wurde der Wagen bewacht.Verhasstester Höhepunkt der Woche war jedoch das penible Putzen aller Patienten-Rollstühle, über Stunden, im Stationsbad, das mehr einem gekacheltem Raum glich, mit Schrubber und Dusche. Eine Rollstuhl-Waschanlage. Und doch war es eine überaus sorgenfreie Zeit...

 
Sie endete jäh mit der Suche nach einem zweiten Ausbildungsplatz, da ich mir bei meiner relativen Talentfreiheit realistisch nicht vorstellen konnte, in den technischen Beruf zurück zukehren. Und schon gar nicht nach Wilhelmshaven. Ich hing in der Luft. 
Nach Abschluß der Ausbildungsplatzralley mit über 100 Bewerbungen standen 3 Kliniken zur Auswahl. Ich hatte Deutschland anhand seiner Krankenhäuser kennegelernt. Ich sehe noch heute die Vorsitzende der Lübecker Schwesternschaft mit weißer Haube vor mir , während des Bewerbungsgespräches 1985 mit der Frage "warum wollen sie Krankenpfleger werden - sie haben doch schon eine Ausbildung"? Meine Antwort muß anscheinend überzeugend genug gewirkt haben. Es gab eine Perspektive und sie erlaubte eine eigene Wohnung für 190 DM.
Source: Wikipedia.org Kantonsspital Winterthur KSW
Nach der Ausbildung ein Intermezzo am Kantonsspital  in Winterthur in der Nordschweiz, dem damaligen Mekka der Krankenpflege. Kam nicht auch L.Juchli aus diesem Land? Ausländer light mit deutscher Sprache. Fast 2 Jahre dauerte der Aufenthalt.
Auch in der Schweiz gibt es heute strukturelle Krisen, kleine Bezirksspitäler müssen ob des Kostendrucks synergetisch fusioniert werden. Mein Sohn wurde in Winterthur geboren, ich bin später nur einmal zurück. 
Über Umwege zurück nach Lübeck, ein Anruf genügte und ich war wieder im Boot. Damals ging das noch so, Sr. R. erinnerte sich auch Jahre später noch gut an mich. Es brauchte trotzdem noch 6 Jahre und einige Funktionen, bis ich da landete, wo ich jetzt beurlaubt worden bin. 
Heute braucht es ein Recruitcenter und Wochen, bis der neue Mitarbeiter auf Station steht. Wenn er denn steht  -  denn viele sind es nicht mehr. 
http://www.dynasphere.de/wp-content/uploads/2013/02/winterthur1.jpg
Source: Wikipedia.org View of Winterthur
Wer die Chance hat, einen 18 Jahre alten Dienstplan zu sehen, der reibt sich verwundert Augen. "Was, so viele waren wir mal?". Wo sind sie geblieben? Es gibt Tage, da herrscht nahezu eine Parität zwischen Stamm- und stationsfremden Personal in der Schicht. Lübeck ist da kein Einzelfall. In vielen  Krankenhäusern herrscht dieselbe Situation. Es sind goldene Zeiten der Arbeitskräftevermittler und Headhunter. Excellent ausgebildete ITS-Fachkräfte sind in Ballungsräumen gesucht und wir steuern zweifellos auf eine weitere Verschärfung der Situation zu.

Die Attraktivität meines Berufes ist im steilen Sinkflug. Eine Zulage für eine Stunde Dienst in tiefer Nacht,
beispielsweise zwischen 3-4h morgens  beträgt 2,54 €, brutto, wohlgemerkt vor Steuer. Und das bei einer deutlicher Arbeitsverdichtung im Laufe der Jahre und jeder Menge Verantwortung; bei einer nunmehr fast 5jährigen Ausbildung für viele Leute nicht gerade einladend. Und doch ist es Tarif und eben relativ krisensicher.
Lübeck Universityhospital Dep. of Anaethesia
Wie sagte mein damaliger Chef, „biste Krankenpfleger, haste immer warm und trocken und Kaffee gibt’s auch immer, wärste Maurer, würdste bei jedem Wetter auf dem Gerüst stehen, frieren und Steine schleppen“.
Die Fluktuation aus der Pflege hält an. Weg von der Front, weg vom Bett, raus aus dem Schichtdienst, keine Nächte mehr,  rein in die Nische. Oder ins Studium. Der Köder ist ausgelegt. Einige Jahre auf Station, als Angebot für die verlockende Aussicht auf ein Studium. Ich wirke in den Augen dieser strategischen Überlegungen altmodisch, wenn ich mich frage, wer macht den Strich in die Kurve und spricht irgendwann die Sprache des Patienten, die neudeutsch nun zu Kunden werden. 
Möglicherweise verändert sich die Situation bald und wir steuern auf eine Veränderung der Aufgabenteilung hin. Zwei Klassen von Pflegenden, höher graduierte für die Administration und jede Menge unterbezahlte "Abeitsbienen". Pflege mit Herz und Schnauze an der Front und praxisorientierter Arbeit kontra evaluierte evidence based studie nurses. Jemand wird sich Gedanken gemacht haben, wo später das Geld, für die Löhne der vielen Studierten herkommen wird. Im Moment fehlt es schon jetzt. Als Folge der chronischen Unterbesetzungen definieren wir die Personal Mindestbesetzungszahlen auf den Stationen neu - niedriger.  
Wie einer der alten Kollegen  durfte ich noch andere Zeiten erleben und frage ich mich heute, würde ich den Beruf noch einmal beginnen?
Bemerkenswert ist der letzte Absatz des Beitrags, die Charite lehnt eine geforderte Mindestbesetzung von 1:3 auf ITS ab.
DIP Pflegethermomerter 2012
Wer sich die Mühe macht, die 102 Seiten des PflegeThermometer2012.pdf  zu lesen, der bekommt ein flaues Gefühl im Magen. Die Zukunft sieht nicht rosig aus, eine Steigerung der Attraktivität der Krankenpflege kostet viel Geld und viel Geld scheint, anscheinend zumindest für die Pflege, nicht vorhanden zu sein. Stattdessen jubelt man zur Zeit in Lübeck darüber, Menschen aus Südeuropa in der Altenpflege zu beschäftigen. Ein Ausdruck der Hilflosigkeit mit sozialem Anstrich. Etwas, was im Moment noch nicht denkbar ist für die Intensiv-Fachkrankenpflege. In der Schweiz kamen meine Kollegen aus 6 verschiedenen Ländern, die wenigsten waren Naturalschweizer, nur zahlten sie besser. 
                                                              „Deutschland tut sich mit der Pflege schwer!“
Professor Weidner auf dem Deutschen Pflegetag in Berlin:
Source:einblick.dqb.de
In der Eröffnungsveranstaltung des ersten Deutschen Pflegetags in Berlin wies Professor Frank Weidner, Direktor des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung e.V. (dip), darauf hin, dass sich nach vorliegenden Zahlen und Fakten Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern besonders schwer tut mit der Modernisierung der professionellen Pflege. So ist in Deutschland der Fachkräftemangel besonders ausgeprägt. Zugleich sind die öffentlichen Investitionen in die Pflege verglichen mit den meisten west- und nordeuropäischen Ländern deutlich geringer. Die Arbeitsbedingungen sind deshalb hierzulande vergleichsweise schlecht, die Vergütungen zu gering. „Mit jeder Pflegereform, die wir in den vergangenen Jahren erleben durften, hat sich die berufliche Situation für die Pflege eher verschlechtert“[...), so Weidner. 
Source: wikipedia.org Tromsoe Universityhospital
Wir wollten auch gehen, 2008 war es soweit. Ellinor und ich fasten den splienigen Gedanken nach Norwegen auszuwandern. Oder wenigstens Dänemark. Wir stellten uns intensiv die Frage: „werden wir unter den bestehenden Umständen als Vollzeitkräfte bis zum Erreichen der Pensionsgrenze durchhalten können, möglicherweise sogar noch unter einer Verschärfung der jetzigen Situation“?
In der Universitätsklinik Odense/DK gab es auf der vergleichbaren thorako-cardiochirurgischen Intensivstation (VITA)  Odense Uniklinik während meiner Hospitation 14 Betten. Als an einem Morgen nur 12 Pflegekräfte ihren Frühdienst antraten, entstand merklich Unruhe. Auf meine Nachfrage erklärte mein Mentor allen Ernstes, 2 Kollegen seien krank, man wüßte nun nicht, wie die Arbeit aufzuteilen und zu bewältigen sei. Pflegepersonalmangel auf dänisch - hätte ich es in dieser Woche nicht mit eigenen Augen gesehen und gehört, ich würde jeden sofort einer übertriebenen fantasterei bezichtigen. In Dänemark herrscht im Normalfall eine Betreuung von 1:1. Ein für Deutschland (fast) nicht vorstellbares Ergebnis. In einer großen Klinik in HH sagt das Pflegepersonal 1:3 ist Luxus,1:4 der Normalfall, 1:5 Grund für eine Überlastungsanzeige gegenüber dem Arbeitgeber. Man kann sich vorstellen, wieziel Zeit bei einer Stunde Arbeitszeit für den einzelnen Patienten geplant zur Verfügung steht. Das kann auf Dauer für beide Seiten nicht befriedigend sein.

Source: mirsk.com Odense Unversityhospital
Ich habe viele ältere Kollegen getroffen in den 3 Krankenhäusern. Es scheint keine Gefahr bestehen, in Dänemark in seinem Beruf auszubrennen. Auch gibt es eine ganze Reihe Programme unter dem Stichwort, der ältere Arbeitsnehmer im Betrieb. Etwas was in Deutschland, im Zuge der Rationalisierung, sicher schwer wird. Deutsche Arbeitskräfte sind in Dänemark in sehr willkommen; sie haben das Image belastbar zu sein, "arbeiten" zu können. Für Deutsche ist eher ein boring-out im Königreich drohend.

Source: Wikipedia.org Odense Townhall
Odense ist mit 200.000 E eine mit Lübeck vergleichbare Stadt mit der Universität Süddänemark und einem großen Spital. Das Jobangebot lag auf dem Tisch. Gleiche Erfahrungen machten wir in Aarhus, in Jütland, ebenfalls eine Hospitation mit nachfolgendem  Jobangebot. Es ist nicht passiert, wird sind geblieben und haben stattdessen die Arbeitszeit reduziert. Es braucht einfach den zweiten Blick, um zu erkennen, daß der scheinbare Reiz auch trügen kann. Der scheinbare finanzielle Anreiz wird durch dänische Lebensumstände nahezu egalisiert. Es bleiben die besseren Arbeitsbedingungen im Ausland.
Seit 2008 haben sich die Bedingungen nicht zum Besseren gewendet,  sondern eher verschärft. Noch so ein geistreiches Zitat meines alten Chefs, wir müssen durch ein tiefes Tal, dann wird alles besser. Nichts wurde besser, anscheinend sind wir immer noch im Abstieg. Eine ganze Reihe Kollegen sind nicht mehr da; einige meiner Kollegen haben ihren Job inzwischen quittiert oder sind erkrankt, weil sie sich zuviel zugemutet haben.
former Heilanstalten Strecknitz Source: uni-luebeck.de
30 Jahre in der Pflege, davon die meiste Zeit am uksh, in guten und in schlechten Zeiten. Im Beruf alt zu werden, so wie in Dänemark, eine Befriedigung täglich in seinem Tun zu spüren, trotz beständig steigender Anforderungen, und nicht aus dem Arbeitsbereich zu flüchten, das erscheint nach dieser langen Zeit viel wichtiger zu werden, als handfeste 50 € netto mehr in der Tasche. Arbeitsbedingungen zu finden, die ein Ausbrennen im Beruf verhindern, das sollte das Ziel der nächsten Jahre sein. Jedoch ist auch klar, ohne eine deutliche finanzielle Aufwertung wird es nicht gehen. Unter dem permanenten Kostendruck wird das nicht funktionieren. Unter dem stetig steigenden Druck, die Motivation zu erhalten, bleibt die persönliche Herausforderung des einzelnen. 
 
Im Moment braut sich wieder ein Sturm zusammen, das Haus wird erneut sparen wollen (müssen), und wir werden ihn wieder abwettern, wie all die Stürme zuvor. Diesmal bin ich nicht dabei und verfolge die Ereignisse aus der Ferne. 

Clocktower Luebeck Universityhospital
30 Jahre Krankenpflege, ein guter Grund zum 50jährigen Geburtstag eine Pause einzulegen, bevor das letzte Drittel ansteht. Noch einmal rauszugehen, bevor ich zu alt bin oder mich der Mut verlässt, etwas in dieser Art zu wagen. Ich erinnere mich an die Tage in Kolobrzeg, im Winter 2013, als wir eine Verhandlung mit dem uksh über das Shabbatjahr durchspielten. Ich hätte nicht auf die Verwirklichung gewettet und kann es auch jetzt kaum glauben. In wenigen Tagen gehts los. Das erfüllt mich mit Respekt vor meinem Haus, ich weiß, das ist woanders nicht selbstversständlich.
Die Chance ist da, Ellinor hat mir freigegeben, ein großes Geschenk, und ich weiß nicht, wie ich das zurückgebn kann. Wir spüren beide den Druck, der jetzt, ob des Ereignisses in wenigen Tagen, auf uns lastet. 
Und so mache ich mich auf den Weg im Sinne des blogs von J.Gondermann, Eindrücke zu sammeln, einen großen Schatz zu finden, einen Vorrat an Erinnerungen, tief eingeschlossen und vergraben, für die Zukunft - für die Zeit, wenn's danach mal nicht so gut läuft auf Station... 

Geh raus und mach Dein Ding, egal ob's läuft oder nicht, aber versuchs wenigstens,...live your dream now... 
                                                    
Source abc.net.au:
screenshot Film Harold and Maude
 "Reach out, take a chance. Get hurt even. But play as well as you can! LIVE !!! Otherwise, you got nothing to talk about in the locker room". Zitat Maude aus dem 1971er Hal Ashby Film Harold and Maude.